#6 Garantieren Flexibilitäten die sichere Stromversorgung?
- Online-Veranstaltung gesendet aus Aarau, Swissgrid
- Verein Smart Grid Schweiz (VSGS)
Zusammenfassung der Veranstaltung #6 im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Gemeinsam gestalten» vom 8. November 2022 bei Swissgrid in Aarau
Flexibilitäten werden mittlerweile als die heilbringende Lösung angepriesen, wenn es darum geht, den Strom-Verbrauch an die volatile Produktion der Zukunft anzupassen und damit die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Diese Erwartungshaltung ist sehr pauschal und undifferenziert. Für eine zielführende Diskussion ist es unerlässlich, von realistischen Grössenordnungen, effektiven Verfügbarkeiten und physikalischen Machbarkeiten im Zusammenhang mit Flexibilitäten zu sprechen und damit mit falschen Erwartungen aufzuräumen.
Die Einführung zum Thema durch die Geschäftsführer Maurus Bachmann und Andreas Beer zeigt: der Bedarf nach Flexibilität ist sehr unterschiedlich, genauso wie deren Nutzbarmachung und die benötigten Grössenordnungen. Zudem ist zu unterscheiden, ob die Flexibilität abhängig vom Ort der Erbringung, also lokal vorhanden sein muss, oder ob eine Erbringung unabhängig vom Ort möglich ist.
Momentanabgleich zur Sicherstellung der System- und Netzfunktion
Damit das Stromsystem funktioniert müssen die Netzbetreiber dafür sorgen, dass es nicht überlastet ist und die Spannung und Frequenz dauernd in einem Normbereich bleiben. Mit dem Zubau an PV-Einspeisung und dem Bedarf der Elektromobilität wird sich die benötigte Netz-Leistung zu gewissen Zeitpunkten im Vergleich mit heute verdoppeln oder gar verdreifachen. Die Einhaltung der physikalischen Parameter des Netzes kann entweder durch Limitierung der Einspeise- oder der Bezugsleistung sichergestellt werden, oder dann durch Netzausbau.
Kurzzeitiger und saisonaler Energieabgleich zur Wahrung der Versorgung
Gesamthaft muss jederzeit die erwünschte Menge an Energie zur Verfügung stehen. Dazu braucht es einen zeitlichen Abgleich. Allein der kurzzeitige Energieabgleich, d.h. der Ausgleich von Tag-Nacht, benötigt in Zukunft (nach Abschaltung der AKW) rund 150 GWh. Zur Reduktion von Übertragungsverluste erfolgt dieser Ausgleich sinnvollerweise möglichst lokal. Beim saisonalen Abgleich dürften es mit 15 TWh rund 100mal mehr sein. Der Energieausgleich muss durch Produzenten bzw. Lieferanten oder dann durch eine Anpassung der Endverbraucher erfolgen. Solch riesige Energiemengen können nicht lokal abgeglichen werden.
Drei ausgewiesene Fachexperten legen ihre Sichten zu Möglichkeiten und Nutzbarmachung von Flexibilitäten dar. Carsten Schroeder, Leiter strategische Regulierung bei ewz aus der Sicht des Verteilnetzbetreibers, Thomas Reinthaler, Leiter Market Strategy bei swissgrid aus Sicht des Übertragungsnetzes und Dr. Turhan Demiray, Leiter der Forschungsstelle Energienetze der ETH Zürich aus Sicht der Wissenschaft.
Carsten Schroeder zeigt auf, dass das Potential von Flexibilitäten in Zukunft je nach Netzgebiet und Anwendung sehr unterschiedlich sind. Zur «netzdienlichen» Nutzung, d.h. um den Netzausbau zu reduzieren, bestünden besondere Anforderungen. Im Gegensatz zur systemdienlichen oder energiewirtschaftlichen Nutzung gäbe es Anforderungen an den Ort der Erbringung, an die Zuverlässigkeit (dauernde Verfügbarkeit) und an die langfristige Verfügbarkeit. Ein Opt-Out anstelle des im StromVG vorgesehenen Opt-In sei nötig, um die Nutzung sonst ungenutzter Flexibilitäten durch den Netzbetreiber zu ermöglichen.
Thomas Reinthaler, fokussiert auf die vom Übertragungsnetzbetreiber benötigte Regelenergie. Durch PV Zubau und Abschaltung der AKW erfolge zunehmend eine Verschiebung von Erzeugungskapazitäten aus Übertragungsnetz in die unteren Netzebenen. Der Leistungsbedarf durch E-Mobilität und Wärmepumpen, und damit der Bedarf nach Engpassmanagement, nehme in den unteren Netzebenen immer mehr zu. Die Zugänglichkeit zu den Flexibilitäten für swissgrid sei darum erschwert. Eine Zusammenarbeit zwischen TSO und DSO sei nötig, um die Flexibilitäten sinnvoll zu nutzen.
Dr. Turhan Hilmi Demiray hat mit seinem Team im Forschungsprojekt DFLEX das Potential von Flexibilitäten zur Reduktion des Netzausbaus untersucht. Dabei habe man sich auf die Annahmen der Energiestrategie abgestützt. Obwohl festgestellt wurde, dass mit Flexibilitäten, insbesondere durch Batteriespeicher in Verbindung mit PV-Produktion, die Netzbelastung im Einzelfall reduziert werden könne, müsse das Netz für «Dunkelflauten» trotzdem für die maximal mögliche Leistungen ausgelegt werden. Dank Flexibilitäten könne der Ausbau allerdings zeitlich verzögert werden.
Im Podiumsgespräch werden die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten und Potentiale diskutiert. Sowohl auf der Erzeugungsseite wie auch auf der Verbrauchsseite würden vermehrt hohe Leistungen bis auf der untersten Netzebene auftreten. Die Anwendungen würden aber auch die Möglichkeit zur Verschiebung und Reduktion bieten. Die Potentiale sind dabei unklar, da sie von der Wirtschaftlichkeit und dem Mitmachen der Kunden abhängen. Für die Nutzbarmachung kommt neben der Vergütung oft auch der Ruf nach Netznutzungsentgeltbefreiung von reinen Speichern auf, damit diese systemdienlich oder energiewirtschaftlich genutzt werden. Dies könnte zum Bumerang werden, da dadurch sinnvolle Verhaltensanreize für das Verteilnetz entfielen und gar höhere Leistungen auftreten würden. Kann das funktionieren?
Programm
09:00 Begrüssung durch Gastgeber Jérémy Plumejeau, Stakeholder Affairs Manager, Swissgrid
09:10 Einführung in die Thematik (VSGS)
09:30 Inputreferat Carsten Schroeder, ewz
09:50 Inputreferat Thomas Reinthaler, Swissgrid AG
10:10 Inputreferat Dr. Turhan Demiray, ETH Zürich
10:30 Pause
10:45 Podiumsdiskussion mit anschliessenden Publikumsfragen
11:30 Abschluss
Moderation: Maurus Bachmann und Andreas Beer, Geschäftsführer VSGS